@bibbi Tesla, Apple und Dyson betreiben sehr erfolgreich Direktvertrieb. Genau die Qualität der deutschen Küchenhersteller sollte es ihnen ermöglichen , dies auch zu tun. Mein Kommentar war nicht auf die gesamte Küchenbranche gerichtet, sondern ausschließlich auf den Vertrieb. Und genau dieser ist eindeutig in der Steinzeit geblieben, allein wegen der ungeheuren Ineffizienz des Prozesses. Wenn ich meine Erfahrung kurz zusammenfassen darf, würde es so aussehen. Und es ist leicht vorstellbar, wie diese Erfahrung auf 1 Million Küchenkäufe jährlich extrapoliert werden kann und welchen immensen Verlust die ganze Blindleistung, die dabei entsteht, verursacht.
Kapitel I: Küchenkauf - Ein modernes Abenteuer
Alles begann relativ harmlos. Als moderne, junge Familie, die bald in die eigene Wohnung einziehen wollte, wollten wir beim unseren ersten Küchenkauf alles richtig machen. Deshalb entschieden wir uns, nach dem
Küchenstudio mit den besten online Rezensionen im Umkreis von 30 km zu suchen. Schließlich ist der Kauf einer Küche für die meisten Menschen, nach dem Wohnungs- und Autokauf der bedeutendste im Leben. So wurden wir auf eine Filiale einer größeren Kette aufmerksam. Die Kinderbetreuung wurde arrangiert, und am Tag des Termins waren wir voller Erwartung vor Ort. Nachdem wir auf sofortige Aufforderung unser Budget von 25.000 EUR mit Stolz genannt haben – man muss ja die Nettosumme erstmal erarbeiten – ging es los. Nach mehr als 5 Stunden und etlichen Kompromissen schienen wir endlich am Ziel zu sein. Etwas enttäuscht und gleichzeitig verwirrt, weil weder die Keramikplatte noch die vielen Auszüge oder die ganz niedrige
Sockelblende im Budget passten (die tolle APL hätte allein angeblich ganze 15.000 EUR gekostet, eine Summe, die um den Faktor 2x über dem späteren Angebot des Steinmetzes lag) und weil die tollen AFP-Fronten, die meine Frau sich gewünscht hatte, als „sehr schlecht“ beschrieben wurden, wurde uns eine Endsumme von 33.250 EUR genannt. Wir wollten uns bedanken und enttäuscht nach Hause oder besser gessagt zu
Ikea gehen, aber dann begann erst der eigentliche Affenzirkus. Nach dem ganzen Theater, das wir trotz der Ermüdung mit steigendem Interesse beobachtet haben, verließen wir das Studio um 16:00 Uhr, nur um kurz danach einen Anruf mit einem ”letzten Preisangebot“ von 21.000 EUR zu erhalten. Es gibt Leute, die das vielleicht im Urlaub beim Souvenirkauf amüsant finden, aber bei einem Kauf, der mehrere Monatsgehälter umfasst finden wir es komplett daneben... "Es kann schon vorkommen, dass man einen faulen Apfel erwischt", dachten wir. Und wir lagen mit dieser Annahme ziemlich daneben.
Kapitel II: Die Jagd geht weiter
Nachdem wir bereits das teure Lehrgeld in Form von 7 Stunden (inklusive Fahrtzeit und Kinderbetreuung) bezahlt hatten, wollten wir nun alles richtig machen. Es sollte ein lokales Studio sein. Eine bekannte Kette, große Ausstellung, teure Autos auf dem Parkplatz. Hier wird man klar zur Kasse gebeten, aber nicht verarscht, dachten wir. Der Küchenberater war offensichtlich sehr erfahren. Nach 2 Stunden hatten wir eine kompromisslose Küche, und der Preis von 21.500 EUR war absolut akzeptabel. Nur die dunkle PerfectSense-
Arbeitsplatte hat uns etwas verunsichert. Würde sie nach einem Jahr zu Hause genau so aussehen wie in der Ausstellung? Wir brauchten mehr Zeit zum Recherchieren und Überlegen. Aber dann kam die Überraschung - Vertrag innerhalb von 48 Stunden unterschreiben, sonst würde sich der Preis signifikant ändern. Um wie viel genau, konnte man uns nicht sagen... Dazu noch 80% Vorauszahlung und die restlichen 20% bei Lieferung. Auf meinen Hinweis, dass es sich bei der Montage um handwerkliche Arbeit handelt und diese keinesfalls vollständig im Voraus bezahlt wird, wurde nur mit einem Lächeln erwidert. Ich war leider zu spontan... Es wäre interessant zu erfahren, ob der Verkäufer tatsächlich denselben Preis zwei Tage später abgelehnt hätte und bei den Zahlungsmodalitäten geblieben wäre. Dazu noch ein Vertrag, der eine Preiskorrektur nach oben ermöglichte, die die normalen Lagerkosten bei Weitem übersteigt. Und wir hatten noch 18 Monate bis zum Bauabschluss. Also definitiv "Nein".
Kapitel III: Die Suche nach Transparenz
Nachdem wir genau wussten, wie unsere Traumküche aussehen sollte und eine relativ gute Vorstellung hatten, wie viel sie kosten würde, gingen wir zu einem familiengeführten Studio im benachbarten Ort. Man hieß uns mit 150 EUR Beratungsgebühr willkommen, die beim Kauf zurückerstattet werden würde. Auf unser Gegenangebot, gleich 1.000 EUR für die Beratung zu bezahlen, dafür aber die Beschaffungspreise beim Hersteller offenzulegen, wurde leider nicht eingegangen. Nun, man kann entweder entgeltlich beraten oder verkaufen, beides gleichzeitig stellt aber einen Interessenkonflikt dar.
Kapitel IV: Das große Finale
Nun sollte es ernst werden. Wir sprachen gleich zwei Studios an - das angeblich billigste in der Umgebung, dort, wo die Leute einkaufen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben, und wo die Verkäufer hoffentlich bodenständig sind. Das zweite - ein selbstständiger Ingenieur, der Küchen in der oberen Mittelklasse verkauft. Jemand, mit dem wir gerne arbeiten würden. Das Ergebnis - bei identischem Design war die
Nobilia etwas teurer als die
Ballerina ... Der selbstständige Ingenieur punktete zudem mit viel Transparenz und angenehmen Gesprächen. Nur die Kosten für Lieferung und Aufbau waren mit über 4.000 EUR etwas üppig bemessen. Wenn man einen Schreinermeister eine Ikea-Küche aufbauen lässt, muss man vielleicht Schmerzensgeld zahlen. Nur ging es hier weder um eine Ikea-Küche noch um einen Schreinermeister. Vielleicht bin ich aber auch zu geizig. Gute Arbeit muss schließlich gut bezahlt werden. Ob man den Monteuren für zwei Tage Arbeit tatsächlich ein Ingenieurmonatsgehalt bezahlt oder die Kosten einfach verschleiert, ist natürlich eine andere Frage.
Epilog: Küchenkauf als Vertrauensfrage
Der Küchenkauf ist tatsächlich ein komplexer Prozess. Aber nicht, weil die 50 Positionen im Vertrag so schwierig zu gestalten sind, sondern weil er absichtlich schwierig gemacht wird – zwecks Gewinnmaximierung. Eine ganz normale Sache im kapitalistischen Alltag, könnte man meinen. Nur kostet es hier einiges an Zeit, sowohl für die Verkäufer als auch für die Käufer.
„Küchenkauf ist Vertrauenssache“, und da liegt das Problem. Ich hatte vor Jahren die Gelegenheit, für ein Unternehmen zu arbeiten, das jährlich Millionen in Procurement investierte. Dabei ging es um die Erstellung und Kalibrierung von komplexen Modellen, die bestimmten, mit wie viel Marge und welchen Gewinnen die einzelnen Zulieferer arbeiten dürften, um die Qualität zu gewährleisten. Das hatte absolut gar nichts mit Vertrauen zu tun. Die meisten Menschen in Deutschland sind bei Sachen wie Trinkgeld, Essen und Kunstausgaben sehr diszipliniert. Nur beim Küchenkauf scheinen sie den Verstand auszuschalten und bereit zu sein, gleich mehrere Tausend Euro auf den Tisch liegen zu lassen. So groß war der Unterschied zwischen zwei identischen Küchen in unserer Erfahrung.
Ich denke immer noch an die Leute, die die ganzen positiven Bewertungen beim unseren ersten Küchenstudio im Internet hinterlassen haben, weil sie vielleicht dachten eine teure Küche zum halben Preis ergattert zu haben, und dabei jetzt mit einer traurigen, dazu noch unvollständigen Küche zu Hause leben müssen. Denn diese ganzen Kompromisse dienten nicht dazu, „im Budget zu bleiben“, sondern um den Gewinn des Verkäufers zu maximieren. Und dieser Gewinn trägt leider keinesfalls zur Innovation und Qualitätssteigerung der Produktion bei. Es ist ein Artefakt eines in der Steinzeit steckengebliebenen Vertriebs.