AW: Tippspiel Bundesliga 2011/12
Nachdem ich mich aus gegebenem Anlass durch die Niederungen des Rechtsextremismus lesen musste, habe ich eine Geschichte von Michael Kraske gefunden.
Zum Autor, der sicher nichts gegen die Veröffentlichung seiner Publikation einzuwenden hat:
[h=1]Michael Kraske...
[/h]geb. am 9.5.1972 in Iserlohn, Print-Journalist für Zeitungen und Magazine (u.a. für stern, Geo, Reader´s Digest, Der Tagesspiegel), Studium der Politikwissenschaft, Journalistik und Neueren Geschichte in Leipzig, Ausbildung an der Henri-Nannen-Journalistenschule (u.a. bei Die Woche, Der Spiegel), dreimaliger Preisträger beim Journalistenpreis Ostenergie, der für die Berichterstattung aus den neuen Ländern verliehen wird, nominiert für den Axel-Springer-Preis 2004, Buchveröffentlichungen: "Tief im Osten - Begegnungen mit der anderen deutschen Art" (2005), Zentralstadion (2006)
Die Geschichte:
Als die Wahrheit auf den Platz kam
Von den Rängen rufen sie: Nigger, Bimbo. Und einmal ist Adebowale Ogungbure noch Schlimmeres passiert.
Wenn er Fußball spielte, auf einer staubigen Straße in Lagos, mit seinen Freunden, und wenn seine Mannschaft zurücklag, dann haben sie sich gegenseitig beschworen: „Lasst uns spielen wie die Deutschen!“ Rennen, kämpfen, nicht aufgeben. „Deutsche Maschinen“, sagten sie, wenn sie tatsächlich eines dieser Spiele noch gewinnen konnten. Sie meinten es als Kompliment. Deutschland, das waren für Adebowale Ogungbure und seine Freunde vor allem gute Fußballspieler: Franz Beckenbauer, Pierre Littbarski und Lothar Matthäus. Deutschland war gut.
Seit sieben Jahren lebt Ogungbure, der 24-jährige Nigerianer, hier. Vor den Wochenenden kann er nicht mehr schlafen. Er hat Angst davor, dass deutsche Zuschauer wieder rufen: Nigger, Bimbo. Dass sie sich wie Affen benehmen, wenn sie ihn sehen. Dass er wieder nach Atem ringen muss.
Seit Adebowale Ogungbure für den FC Sachsen Leipzig in der 4. Liga spielt, lässt sich beobachten, wie es manchmal zugeht, wenn die Welt zu Gast bei Freunden ist. Am 25. März zum Beispiel beließen es Fans des Halleschen FC nicht bei bösen
Worten. Sie stürmten nach dem Spiel den Platz und bespuckten den schwarzen Spieler. Einer griff Ogungbure an den Hals und würgte ihn. Von hinten wurde er geschlagen. Von der Haupttribüne brüllten sie: Nigger raus! Da hob Adebowale
Ogungbure den Arm zum Hitlergruß. Er wollte sich irgendwie wehren, und vielleicht hat er es sogar auf die richtige Weise getan. Nach dem Spiel wurde ermittelt.
Gegen Ogungbure, weil er in der Öffentlichkeit ein verfassungsfeindliches Symbol gezeigt hatte. Das Verfahren wurde eingestellt. Der Nordostdeutsche Fußballverband verurteilte den Halleschen FC zu einer Geldstrafe von 600 Euro. Weil
dessen Fans Feuerwerkskörper abgebrannt hatten.
Fast zwei Monate nach dem Spiel sitzt Ogungbure vor einem Leipziger Café. Mit Baseballmütze, goldenem Kreuz um den Hals und einem T-Shirt, auf dem Jamaica steht. Er hat ein Handtuch auf die Schulter gelegt, als hätte er gerade trainiert.
Tatsächlich kommt er aus Hamburg, wo er der Fifa vom alltäglichen Rassismus auf deutschen Fußballplätzen erzählt hat. Gelassen wirkt er. Er erzählt, was er in Deutschland gelernt hat. Pünktlich zu sein. Dass die Mannschaft wichtiger ist als der
Einzelne. Und dass es in Deutschland Strafen gibt, wenn man zu spät zum Training kommt, sogar, wenn man das Auto falsch parkt. Darum versteht er nicht, warum die Gewalttäter, die ihn angriffen, nicht bestraft werden. „Ich habe hier noch nie
gesehen, dass ein Hund angespuckt wird“, sagt er. Die Gelassenheit weicht einem Lachen, das kein Spaß ist. Adebowale Ogungbure erzählt auch, was ihm seine Mutter in Lagos beigebracht hat: „Alle Menschen zu respektieren, egal, ob groß oder
klein, schwarz oder weiß.“ Irgendwann springt er auf. Eine Politesse steuert in die Richtung, wo er sein Auto geparkt hat.
Die Frage an den Nordostdeutschen Fußballverband nach den Konsequenzen aus dem rassistischen Exzess von Halle ist schnell beantwortet. „Zurzeit ist alles gesagt“, schimpft der Geschäftsführer Holger Fuchs ins Telefon. Dann legt er auf.
Verbandspräsident Hans-Georg Moldenhauer, zugleich DFB-Vizechef, weiß, dass das Problem zu groß ist, um es unter den Teppich zu kehren. Er trifft sich mit ostdeutschen Innenministern und Vereinsbossen, um Maßnahmen wie Stadionverbote zu koordinieren, die seit April auch in der Oberliga ausgesprochen werden können. Er spricht vom Frust der Fans von Traditionsvereinen wie Halle, die in der 4. Liga herumkrebsen: „plus Arbeitslosigkeit“. Zum Skandal, dass der Verband die Treibjagd von Halle ungestraft ließ, sagt Moldenhauer, der Verlauf des Verfahrens sei unbefriedigend gewesen. Doch er kündigt an, dass der Verband noch „vor dem Sportgericht eine Schlussfolgerung ziehen wird“. Demnächst.
Die Spieler des FC Sachsen Leipzig waren schneller. Sie schmierten sich für ein Foto schwarze Farbe ins Gesicht und verkündeten: „Wir sind Ade!“ Fast 1000 Fans unterstützten die Aktion, stellten sich mit Namen und Foto an Ades Seite. Der
sagt, dass er sehr stolz ist auf seine Mitspieler und die Fans. Von seinem Präsidenten bekam er hingegen den Rat, sich „professionell“ zu verhalten. Aber wie lässt man sich professionell ins Gesicht spucken?
Als Ogungbure Ende April aus dem Tunnel des Leipziger Zentralstadions auf das Feld lief, schaute er zuerst auf den Fanblock von Energie Cottbus II. Die wenigen Angereisten aus Cottbus hatten keine rot-weißen Schals dabei, statt der
üblichen Trikots trugen sie weiße T-Shirts. Ogungbure sah das Plakat, das sie ausrollten, sofort: „Ihr seid Ade, wir sind weiß.“
Ogungbure war außer sich. Er wollte nicht spielen. Nur raus aus dem Stadion. Der Trainer und die Mitspieler redeten auf ihn ein. Und seine Mutter hatte ihm noch etwas beigebracht, daran erinnerte er sich in diesem Moment: „Wo dein Bett steht, ist deine Heimat.“ Er dachte, ich lasse mich von keinem rausschmeißen. Er spielte. Die Menschen mit den weißen T-Shirts verließen zur Pause das Stadion.
Sie ließen etwas zurück, eine Art Gift. Ogungbure, der filigrane Techniker drosch gegen den Ball, als trüge der die Schuld, zwischendurch schrie er seine Mitspieler an und hüpfte dazu auf der Stelle, als würde es ihn zerreißen. Während sie in den
Verbänden Maßnahmen diskutieren und Zuständigkeiten koordinieren, geht der Spießrutenlauf für Adebowale Ogungbure weiter.
Zwei Mal im Jahr fliegt er nach Hause. Vorher ruft er in Italien an, der Ukraine, in England und Griechenland. Da spielen viele von denen, mit denen er damals in Lagos auf der Straße kickte. Zwischen den Spielzeiten treffen sich die Weltreisenden des
Fußballs in diesem riesigen afrikanischen Moloch auf der Straße und spielen Fußball, bis es dunkel wird. Wie früher. Ogungbure sitzt in seiner kleinen Wohnung in Leipzig und erzählt davon. Er holt Fotos aus Plastiktüten. Auf den Fotos trägt er weiße oder grüne oder blaue Trikots, immer wieder steht er da für ein Mannschaftsfoto. Stolz sieht er aus auf den Bildern und glücklich. Das Leben, das von ihm fotografiert wurde, scheint nur aus Fußball zu bestehen. „Das ist Jonathan Akpobori“, sagt er und zeigt auf einen Kopf. Akpobori spielte für Rostock in der Bundesliga. Einer seiner vielen Fußballfreunde.
Es gab welche auf den Straßen von Lagos, die nahmen Drogen und liefen irgendwann mit Waffen herum. Ogungbure spielte Fußball. Die ihn sahen, sagten: „Was für ein Talent.“ So schaffte er es aus Lagos nach Benin. Da entdeckte ihn ein Spielervermittler. Ogungbure hatte Angebote aus Amsterdam und aus Singapur. Er entschied sich für den 1. FC Nürnberg, machte einige Bundesligaspiele. Danach kamen Reutlingen und Cottbus in der 2. Liga. Seinen Wechsel nach Leipzig schildert er als eine Art Betriebsunfall. Er habe bei einem ungarischen Verein unterschrieben, der auch in der Champions- League spielte. „Den Namen habe ich vergessen.“ Der Wechsel platzte. Aber die Ungarn drohten, Ogungbure von der Fifa sperren zu lassen, wenn er irgendwo einen zweiten Profivertrag unterschreiben sollte. Also Amateurliga. Also Leipzig.
Ogungbure zählt die Rechnungen auf, die er zahlen muss: Strom, Telefon, Miete, Auto. Als sein Vater in Lagos im Krankenhaus war, zahlte er auch dessen Rechnungen. Er zahlt für die Schule, die sein Bruder besucht. Fußball ist für
Ogungbure längst nicht mehr nur der Spaß von früher. Er ist der Ernährer der Familie.
Es ist heiß, auf dem Trainingsplatz rennen die Spieler von Sachsen Leipzig dem Ball hinterher. Sie ackern und kämpfen. Wenn Ogungbure den Ball annimmt, beginnt ein Tanz. Er streichelt den Ball um die Körper und Beine, die von allen Seiten
heranspringen. Dann spielt er da hin, wo niemand ist, aber ein guter Stürmer hinlaufen müsste. Oft hinken die Laufwege seiner Mitspieler seinen Geistesblitzen hinterher. Und die Füße seiner Gegenspieler treffen erst nach dem Pass ein und
lassen Ogungbure nach den Zweikämpfen einige Sekunden lang humpeln.
Wieder ein Wochenende, Adebowale Ogungbure läuft im fast leeren Zentralstadion gegen Neugersdorf auf, einen Absteiger. OgungburesVertrag läuft in wenigen Wochen aus. Er mag Sachsen Leipzig, aber er hasst die 4. Liga. Noch hat er nicht
entschieden, ob er bleiben wird. Seine Mannschaft schießt vier Tore. Ogungbure steht hinten und läuft ab und zu einem Stürmer den Ball ab, indem er seinen Körper um den Ball windet, bis er ihm am Fuß klebt, während der Gegner durch die
Luft fliegt. Über die Mittellinie läuft er kaum, das verbietet der Trainer. Disziplin ist wichtiger als Kunst. Am Ende feiern zehn Sachsen-Fans mit Sprechchören ihren Ausnahmespieler. Ogungbure macht mit seinen Mitspielern die Welle. Es war ein
guter Tag. Spielprämie, Siegprämie. Keine rassistischen Beleidigungen. Der Gästeblock hinter dem Tor war leer.