Ach, das mach ich doch selber
Liebe Leute,
wahrscheinlich kann sich gar keiner mehr erinnern an den anmaßenden Schwachkopf, der aufgrund der Erfahrungen in Küchenstudios und Möbelhäusern beschlossen hatte seine Küche einfach selber zu bauen.
Nach allen organisatorischen Problemen und Verzögerungen war im Jumi letzten Jahres endlich der Startschuß zur Detailplanung und Umsetzung, nach 6 Monaten Durchlaufzeit (ich hatte maximal 2-3 Stunden pro Tag Zeit) war die Küche im Dezember letzten Jahres dann im Wesentlichen fertig, abschlissende Details wie passende Vorhänge und ein paar extra Features kamen dann noch im Laufe der letzen 3 Monate hinzu.
Die Anforderung
Die Hauptanforderung war eine Küche die möglichst wenig nach Küche aussieht. Nach dem Anschauen von vielen Küchen und der einen oder anderen Minute Gedankenarbeit habe ich folgende Merkmale als besonders "küchig" isoliert:
1 Backofen
2 Herdplatte
3 Dunstabzug
4 Mikrowelle
5 Spüle und Armatur
6 Dicke, überstehende Arbeitsplatte
7 Edelstahl
8 Griffreihen
9 Hoher Sockel
10 Geschirrtuch
Nun, ich bin ja, wie mehrfach festgestellt wurde, nicht vom Fach (die Berufsbezeichnung die wohl am besten auf mich zutrifft ist Ingenieur), aber es leuchtete mir doch recht bald ein, dass das auch gerade die Dinge sind auf die man schwer verzichten kann - was tun?
ad 1.) Es gibt nach wie vor keine vollintegrierten Backöfen und ich hatte nicht den Mut das Teil einfach in einen Schrank zu stopfen. Backöfen sind wie Rotwein - sie brauchen Luft. Die Lösung konnte also nur sein, den Backofen nicht einzubauen aber trotzdem zu verstecken. Die Insel war als ideales Versteck schnell ausgemacht - vom Wohnraum aus ist der Backofen nicht zu sehen, er kann aber trotzdem ordnungsgemäß eingebaut werden und ist auch im einfachen Zugriff. Und, viel wichtiger, Vater und Sohn können den Weihnachtskeksen beim Bräunen zusehen.
ad 2.) Die Herdplatte ist einfach nicht zu verstecken aber man kann sie möglichst unauffällig verbauen. Flächenbündig eingebaut in eine dunkle Arbeitsplatte fällt sie wenigsten auf. Die Methode hat so gut funktioniert, daß eine Bekannte die auf Besuch kam die Frage stellte, wo wir denn hier kochten:)
ad 3.) Für den Dunstabzug gibt es mittlerweile sehr unauffällige Modelle (Tischabsaugung, ....) aber die haben zwei entscheidende Nachteile: sie sind teuer und brauchen sehr viel Platz. Daher wurde ein preisgünstiger Lüfterbaustein verbaut von dem nichts zu sehen ist als das Lüftungsgitter.
ad 4.) Bei der Mikrowelle hatte ich keine Bedenken die bestehende Standmikrowelle einfach in einen Schrank zu stellen. Der wird mit einer Klappe geöffnet und die Mikrowelle ist ohnehin nur dann in Betrieb wenn die Klappe offen ist.
ad 5.) Die Spüle läßt sich auch nicht wirklich wegpacken. Hier habe ich einen ähnlichen Weg gewählt wie bei der Herdplatte. Die Spüle wurde so eingebaut, dass die dünne HPL Platte über den Spülenrand steht (wie die Damen und Herren Küchenplaner das nennen habe ich vergessen, es wollte mir ohnehin kaum jemand machen, da das Risiko die Arbeitsplatte zu ruinieren sehr hoch ist) und dadurch nur das Loch sichtbar ist. Die Granit-Spüle wurde farblich auf die Farbe der Oberfläche angepaßt. Bei der Armatur mußte ich einen Kompromiß eingehen. Die unauffälligste Armatur die ich finden konnte war eine in die Arbeitsfläche versenkbare für die Vorfenstermontage. Da diese aber nur für Hochdruck verfügbar ist und ich aus mehreren Gründen die vorhandene Niederdruckanlage nicht umbauen konnte wurde eine freistehende Armatur verwendet. Man kann die zwar aus der Halterung rausziehen und in die Spüle legen, das sieht dann aber ein bisschen nach Terry Gilliams Brazil aus.
ad 6.) Eine 30 oder mehr mm dicke Arbeitsplatte findet man in meiner Küche nicht. Beim Spülenblock wurde vollständig auf eine von vorne sichtbare Arbeitsplatte verzichtet um die gewünschte Monoblockoptik zu erzielen. Die technische Umsetzung erspare ich euch, aber im Wesentlichen ist die Arbeitsfläche ein Sandwich aus Aluminium, Sperrholz und HPL Schichtstoffplatten. Bei der Herdnische ist aus Belüftungsgründen eine 6mm hohe Arbeitsplatte zu erkennen. Hier wurde ein sehr stabiler Aluminiumrahmen eingesetzt damit die Herdplatte keinen Durchhänger kriegt.
ad 7.) Das war leicht. Edelstahl wurde einfach weggelassen.
ad 8.) Scheinbar auch leicht, ist ja eine grifflose Küche. Das Problem hier war lediglich, dass ich auch keine Griffmulden oder sonstige schiachen (österreichisch für unattraktiv) durchgehenden breiten Linien haben wollte. Für Auszüge und Schranktüren ließ sich das mit TipOn bzw. elektrischer Öffnungsunterstützung gut lösen. Für den Geschirrspüler kam gerade rechtzeitig die Knock2Open Technologie auf den Markt, zweimal klopfen und das Ding geht auf. Dieses Gerät ist mittlerweile seit mehr als einem halben Jahr im Einsatz und hat sich sehr bewährt, auch wenn es ein paar Sekunden dauert bis die Tür offen ist. Beim Kühlschrank gab es leider nichts von der Stange. Hier habe ich eine der Einheiten für die Öffnungsunterstützung der Auszüge umgebaut - ein leichter Druck auf die Seitenwand des Kühlschranks öffnet die Kühlschranktür gerade soweit, dass man mit der Hand die Tür ganz öffnen kann.
ad 9.) Mein erster Gedanke zum Sockel war eigentlich: Wozu. Nachdem ich mich einige Zeit selber beim Werkeln in der Küche beobachtet hatte mußte ich jedoch erkennen, dass meine Zehen sich des öfteren hinter der Frontebene aufhielten - wäre da kein Sockel gäbe das Zechenaua. Ein Sockel muß also sein, aber so niedrig wie möglich und wenn er schon sein muß dann beleichten wir das ganze auch gleich, das verleiht dem ganze diese leicht geisterhafte Schwebeoptik. Gewählt habe ich letztendlich eine Sockelhöhe von 6cm. Das findet man auch bei Schlafzimmerschränken, ohne dass gleich ein Küchenfeeling aufkommt. Für Küchen ist diese Höhe allerdings grenzwertig. Der Sockel dient außer dem Zehenschutz ja auch dem Niveauausgleich und der Belüftung. Hier mußte ich zum Teil recht aufwändige konstruktive Maßnahmen setzen, etwa wird die Höhe der Sockelbeine von innen verstellt, da man von unten nicht mehr an die Hinterbeine herankommt.
ad 10.) Nichts ist so küchisch wie herumhängende Geschirrtücher. Allerdings sind das von Natur aus freilebende Lebewesen, wegen des Zugriffs und der Trockung. Ich denke, ich habs halbwegs hingekriegt, wer das Geschirrtuch auf den Fotos findet kriegt einen Goldstern.
Würde ich das noch einmal machen?
Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Eine Küche zu bauen ist definitiv etwas anderes als einen Billy zusammenzuschrauben. Der ausschlaggebende Grund für den Selbstbau war letztendlich, dass ich das was ich haben wollte in dieser kompromißlosen Form nicht bekommen hätte, es sei denn, ich hätte eine Menge mehr Geld dafür bezahlt als im Selbstbau. Die Küche hat ziemlich genau 10.000€ gekostet, 6.500€ für Geräte und Wasserzeugs, 3.500€ für die Möbel), das beste professionelle Angebot lag bei 25.000€ und einer Menge Kompromisse.
Unter den gleichen Umständen würde ich es wahrscheinlich wieder machen, auch wenn mir zwischendurch schon mal der Gedanke "Scheiß drauf, solls der Tischler fertig machen" durch den Kopf gegangen ist.
Dann kann ich das doch auch!
Hier würde ich zur Vorsicht raten. Ich habe mehr als 20 Jahre Erfahrung im Tischlern und verfüge über einen entsprechenden Maschinen- und Werkzeugpark. Für die Planung habe ich professionelle Software benutzt die für Endverbraucher gar nicht so leicht zu bekommen ist, ein Problem, dass sich bei der Materialbeschaffung fortsetzt. Für die Küche wurden nur ganz wenige Teile im Baumarkt beschafft.
Der Zeitaufwand für Planung und Umsetzung war enorm. Mehr als ein halbes Jahr, 15-20h pro Woche, das sind so rund 400-500h. Das muß einem schon Freude machen, pekuniär lohnen tut sich das kaum (nehme ich die 15.000€ Differenz dann bleibt ein Stundenlohn von 30€).
So, liebe Leute, das wars von meiner Seite. Ich werde sicher noch von Zeit zu Zeit ins Forum schauen falls jemand noch etwas wissen möchte.
Happy Cooking
Nobilly
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Benutzer-Kommentare
Ein Gedanke der mir durch den Kopf ging war lediglich:
Eigentlich schade, daß er keinen besseren Raum zur Verfügung hatte.
Viel Freude und immer gutes Kochen, Backen auch mit Sohn.
Wieviele Goldsternchen hast du denn? Ich bekomme 6.
Das Ding hat alles was eine Küche braucht: Viel Arbeitsfläche auch in der Tiefe, Aussicht beim Arbeiten, coole Optik, Stauraum auf wenig Platz. Ob man gut zu zweit arbeiten kann wird sich weisen. Das Teil mit dem Backofen sieht aus wie ein Altar...
und ich will ZWEI Sterne weil dort mindestens zwei Tücher sind, aber vom Raum her sehr unauffällig. Grüße
Toll, dass Du so ein schönes Ergebnis hinbekommen hast, man sieht, dass da viel Gehirnschmalz und Können drinsteckt.
Ich gratuliere
Vanessa
wie stark ist denn die Platte?
und du schreibst:
Zitat
"Beim Spülenblock wurde vollständig auf eine von vorne sichtbare Arbeitsplatte verzichtet um die gewünschte Monoblockoptik zu erzielen. Die technische Umsetzung erspare ich euch, aber im Wesentlichen ist die Arbeitsfläche ein Sandwich aus Aluminium, Sperrholz und HPL Schichtstoffplatten."
Zitat Ende
Gerade hier würde mich die technische Umsetzung interessieren, wenn es für dich nicht allzuviel Mühe machen würde.
Alles in allem sehr stimmig, insbesonders das Zusammenspiel der Oberflächengestaltung beeindruckt mich.
Einzig, was ich persönlich als Kritikpunk sehe und was mich etwas stören würde ist, dass die Insel so hingestellt aussieht, als ob ein Schrank nicht verbaut worden sei. Der Insel hätte ich ebenfalls beleuchtete Sockelfüße gegönnt.
wirklich super und ein so schöner Bericht, ich habe viel gelächelt. Den Goldstern habe ich mir virtuell schon mal weggeheftet. Als ich den Text gelesen habe, hatte ich sofort diese Idee, wo das Handtuch hinsollte. Und da habe ich es dann auch gefunden. Beim ersten Durchsehen Bilder ist es nicht aufgefallen, da habe ich allerdings auch mehr auf die Fronten etc. geguckt.
Wenn es dir nicht unangenehm ist, fände ich ein paar Bilder vom Innenleben noch superinteressant.
Ansonsten viel Spaß beim Keksebacken ;-)
LG
Kerstin
dein Küchenprojekt ist extrem beeindruckend! Gratulation zu so viel KnowHow, Durchhaltevermögen und der grandiosen Umsetzung!
Dann gibt's jetzt inzwischen Sterneessen, dem Küchendesign angepasst?
Und ich hätte gerne einen Goldstern, denn ich habe das dunkelblaue/schwarze Handtuch entdeckt. :D
Danke für deinen wunderbaren Bericht!